Mittwoch, 18. Januar 2012

19.04.2011 Mit Valeria und Dac in's süße Pontevedra...

Sechs Uhr. P. schläft noch. So tief und entspannt, wie sie jetzt schläft, lasse ich sie lieber noch schlafen. Nach unserem schweren Vortag scheint sie den Schlaf dringend zu benötigen. Dann aber machen unsere neuen deutschen Freunde auf sich aufmerksam. Ihre schweren Stiefel lärmen im Treppenhaus und lassen P. langsam aufwachen. Bald darauf erwacht in uns auch wieder das Bewusstsein, dass wir an diesem Tag noch ein ordentliches Programm vor uns haben. Die nächste Herberge in Pontevedra ist nicht die größte und die Strecke ist ein wenig welliger als in den Vortagen. Wir wissen auch noch nicht, wie sich P.'s Knie an diesem Tag nach dem Zusammenbruch verhalten wird. Der Blick nach Draußen lässt uns schaudern: Die Landschaft glänzt! Die Straße, der Gehweg und die Fußwegplatten for dem Eingang verheimlichen nicht, dass wir heute bei kühlerem Wetter den ersten echten Regentag erleben werden. OK, zuerst aber kommt das Frühstück.
P. isst unwillig, lässt sich auch nur schlecht dazu motivieren, zumindest ein wenig Essen mit auf den Weg zu nehmen.

Als wir losgehen, ist sicher, dass wir unsere Ponchos für ein Weilchen tragen müssen. Der Gedanke an dieses höchst unmodische Accessoire senkt P.'s Laune noch weiter. Irgendwann jedoch kann ich mich durchsetzen. Ich habe einfach keinerlei Lust, mit triefend nassen Klamotten in der nächsten Herberge einzulaufen. Langsam setzen wir uns in Bewegung. Während wir uns den ersten Bergrücken hohquälen, lässt der Regen nach. Schnell sind die Ponchos außen an den Rucksäcken verstaut. An einer ehemaligen Pilgerherberge versucht Judith Einlass zu bekommen. Aber vergebens! Die querab von Lomba liegende Ruine ist nicht bewohnt und außer der Fassade ist nicht mehr viel übriggeblieben. Dafür werden wir kurz darauf oberhalb von Souoxusto mit einem schönen Blick auf die Bucht von San Simón belohnt. Ein mit Jakobsmuscheln geschmücktes Pilgerdenkmal lädt zu einem Erinnerungsfoto ein. Dann geht es auch schon zügig nach Arcade hinein. Mich dürstet nach einem Kaffee. Während wir nach einer geeigneten Bar suchen, stehen plötzlich Joao und Joana vor uns. Die beiden hatten den Weg nach der Herbergenmisere des Vorabends bis nach Arcade verlängert. Jetzt aber sind sie gerade im Aufbruch, wollen nur noch schnell die Rucksäcke aus der Herberge holen. Wir verabreden uns auf dem Weg und laufen weiter. Wohl wissend, dass die beiden uns sicherlich bald wieder einholen werden.Wir sind nur wenige Meter weitergekommen und begrüßen gerade Valeria und Dac aus Brasilien, als unsere portugiesischen Freunde uns lustig grüßend überholen. Mein einziger Kommentar zu P.: "Bis heute Abend holen wir die wieder ein!"

Dafür entscheiden wir uns aber erst einmal zu einer Pause. Dac und Valeria hatten wir schon in unserer ersten Herberge in Valenca kennengelernt. Dac, der von zu heftigem Drogenmissbrauch in jungen Jahren gezeichnet ist, läuft mit Krücken und unter großen Beschwerden, Valeria, seine Frau begleitet ihn geduldig. Jetzt aber sitzen beide in einem Café und laden uns zum Verweilen ein. Nachdem wir unsere wichtigsten Informationen untereinander ausgetauscht haben, machen wir uns gemeinsam auf die heutige Etappe. Dac hat viel zu erzählen, kommt aber alle paar Sätze auf seine liebe Valeria zurück. Welch ein Glück, eine Frau so lieben zu dürfen!

Zwischen Arcade und Pontesampaio führt der Weg über eine alte Römerbrücke. Der Blick auf die Brücke aber auch von dieser hinunter auf das Wasser ist ein echter Genuss. Vor Allem, weil das Ufer der Bucht mit Häusern besiedelt ist, denen das Mittelalter noch deutlich anzusehen ist. Auf der anderen Seite geht es in Pontesampaiozwischen alten Speichern hoch in eine freundlich geschwungene Hügellandschaft. Die Wanderung mit Dac und Valeria ist wirklich kurzweilig, wir alle genießen die Abwechslung. Auch unser Pic-Nic ist voller Unterhaltung. Wir sitzen am Wegesrand und teilen unsere Mitbringsel. Kuchen, Brot, Käse, Wurst, Obst und Gemüse liegen hübschzwischen uns am Wegesrand und die Stimmung ist total friedlich. Natürlichist Dacs Schokolade am Schluss das Highlight dieses Lunches. Kurz vor Pontevedra werden wir mit den ersten neuen Regenwolken konfrontiert. Am Ortsrand von Pontevedra fängt es dann an, richtig heftig zu regnen und wir machen uns auf, die Herberge noch trockenen Fußes zu erreichen. Zwar bleiben die Füße trocken, der Rest unserer Klamotten ist jedoch schnell durchweicht. Wenige Meter nach dem Ortseingang sehen wir Joao und Joana in einem Café sitzen und unterhalten uns nur kurz. Unser Interesse, jetzt weiter zu kommen steht deutlich über jeglichen freundschaftlichen Gedanken. P. sowie auch Dac und Valeria zeigen Anzeichen von Müdigkeit, so, dass ich die drei in einem Café unterhalb der Herberge absetze und mich auf den Weg mache, für uns Plätze zu organisieren. Dort kann ich leider nur erfahren, dass die Herberge bereits voll ist und dass eine Notunterkunft in einem Sportzentrum am anderen Ende der Stadt errichtet worden sei. Immerhin können wir von der Herberge aus unsere Plätze buchen und bezahlen. Zu viert tigern wir also weiter, während der Regen sich ganz langsam verzieht. Am beschriebenen Zielort angekommen, stehen wir mitten in einer geschäftigen Turnhalle. Von Herbersatmosphäre oder gar Betten ist hier keine Spur wahrzunehmen. Jeder der inzwischen einlaufenden Pilger macht sich auf eigene Faust auf den Weg, die Unterkunft zu finden. Dac hat Glück, findet sie und schickt nach uns, damit wir unsere Suche abbrechen können.

Dann kommt ein schlimmer Moment in meinem Pilgerleben! Als wir die halb mit Betten gefüllte Turnhalle betreten, geht sofort die Suche nach geeigneten Lagerstätten los. Währenddessen turnen junge Männer in der anderen Hallenhälfte gewagte Trampolinsprünge und andere Bodenübungen. Kein einfaches Spiel, diese Suche! Und wir verlieren es! Wir verlieren es deshalb, weil in allen Betten das Bettzeug und dort besonders die Kopfkissen schwarz von Pilzbefall sind und ich keinerlei Lust habe, P. oder mich dieser Gesundheitsgefahr auszusetzen. Nach heftigem Protest bei der "Herbergsmutter" verlassen wir den Saal. Ich bin stinksauer und habe auch keine große Lust mehr auf Kompromisse. Mit Dac verabreden wir uns locker, er bekommt meine Visitenkarte, damit er sich bei mir zum gemeinsamen Abendessen melden kann. P. und ich kehren in die Stadt zurück. Auf dem Weg in die Stadt werden wir von zwei Personen angesprochen, die wissen wollen, ob wir die Herberge gerade verlassen hätten. Diese beiden scheinen Mitarbeiter der Stadt zu sein. Sie kaufen uns unsere Reservierungen wieder ab, so dass unser Budget an diesem Tag keinen allzu großen Schaden erleidet.

Eine überaus freundliche Mitarbeiterin der Touristinformation hilft uns mit vielen netten Worten und einem Zimmerangebot in der Innenstadt aus der Patsche. Das Zimmer befindet sich in einem der typischen Stadthäuser mit grün lackiertem Treppenaufgang. Der Vermieter ist ein älterer Spanier, der seinem Geschäft sehr gewissenhaft nachgeht. Alles wirkt alt, spießig und ein wenig beängstigen. Dennoch sind wir bald darauf froh, unsere Füße ausstrecken und unsere müden Knochen warm abduschen zu können. Die Lebensgeister lassen dann auch nicht mehr lange auf sich warten. P. und ich machen uns auf den Weg in die Stadt.

Pontevedra gilt als die süße Stadt. Nirgendwo sonst soll es so viele und soviele gute Pastellerias geben und nirgendwo sonst soviel süßen Knabberkrams. Soweit die Theorie. Praktisch ist die Anzahl der Pastellerien überschaubar. In einem besonders gut nach frischen, stark gezuckerten Backwaren riechenden Geschäft  leisten wir uns einen Hefekranz mit einer dicken Zuckerkruste. Der Geschmack dieses Hefeteiges ist unnachahmlich! Mit dieser zuckerhaltigen Grundlage lässt sich auch die Stadt wieder richtig gut erkunden. Zuerst bedanken wir uns in dem Tourismusbüro für die erfolgreiche Zimmervermittlung und erhalten im Gegenzug noch ein paar wertvolle touristische Informationen. Aber uns ist erst einmal nach Zerstreuung zumute. So ist es auch nicht verwunderlich, dass P. und ich ein paar Schuhläden aufsuchen, um ihr Flip-Flops zu kaufen. Auch für mich fällt etwas ab: In einem kleinen Lederwarenhandel mit eigener Fertigung erstehe ich ein neues Portemonnaie.

Während unseres Shoppings auf der Hauptstraße fallen uns vermehrt Frauen auf, die streng schwarz gekleidet, mit ernster Miene und langen Kerzen in ihren Händen durch den Ort zu der Hauptkirche eilen. Zum Glück sind Pilger nicht neugierig. Wir sind also nur rein zufällig für die nächsten 30 Minuten in der Nähe der Kirche, als sich mit eindringlicher Musik und dumpfen Trommelschlägen einem Trauerzug gleich eine Prozession ankündigt. Vor dem Schrein schreiten Männer in spitzen Hauben offenbar die Henker Jesu. Gefolgt von dem Schrein und im Anschluss sehen wir wieder die Damen, die dem Schrein in langsamen, stockenden Schritten folgen. Ihre Mienen sind steinernen, zum Teil aufrecht trauernd. Die Stimmung ist ernst, sogar leicht gespenstisch und dennoch sehr feierlich.

Nachdem wir den Zug an uns haben vorbeiziehen lassen, benötigen wir erst mal wieder etwas Leben. Auf der Suche nach einer Bar oder einem Restaurant begegnen wir plötzlich Portugiesen, die wir auch schon auf dem Pilgerweg gesehen haben. Aus der flüchtigen Begrüßung wird ganz schnell eine insistierende Einladung zur Teilnahme an der Geburtstagsfeier für ihren elfjährigen Sohn, Enkel und Neffen. Wir unterhalten uns total intensiv, genießen gegenseitig den Kontakt. Leider löst sich diese liebe Gesellschaft bald danach auf. P. und ich ziehen noch ein wenig durch die Kneipen, verschwinden dann aber auch zügig in unseren Betten.

In dieser Nacht schlafen wir glücklich und vor Allem tief und lang.

Leider haben wir auf der ganzen, restlichen Tour weder Dac und Valeria, Charlotte mit ihrem Clan noch diese lustige portugiesische Pilgerfamilie getroffen. Besonders schade ist für mich, dass die aufkeimende Freundschaft zu Dac auch deshalb keine Chancen hatte, weil ich auf meiner Visitenkarte eine falsche Telefonnumer stehen hatte. So, wie ich auf dem Jakobsweg schon sehr häufig wundervolle Erlebnisse mit Menschen hatte, so gehört dieses Kapitel leider zu den für mich traurigen Erinnerungen an einen wundervollen Dienstag mit wundervollen Menschen.

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