Freitag, 14. Mai 2010

Tag 3 Strasburg - Colmar

Wir wachen um halb Acht auf. Ich dusche noch kurz, in der Hoffnung, den etwas maladen linken Arm zu entspannen. Danach esse ich während des Zusammenpackens drei trockene Brötchen vom Vortage. Um 09:28 Uhr sitzen wir wieder auf den Rädern. J. Erwähnt, dass er eigentlich davon ausging, zu diesem Zeitpunkt bereits in der Nähe von Mühlhausen zu sein (ungefähr 170 km von unserer jetzigen Position). Ich habe zum ersten Mal das Gefühl, dass trotz intensiver Vorgespräche meine Zielvorstellungen für den Weg bei Ihm nicht ganz angekommen sind...

 Der Weg führt uns über den gut geteerten Rheindamm, dessen Seiten von wildem Bärlauch weiß eingefärbt sind. Wir sammeln einige Stengel, um Gewürz für unser Abendessen zu haben. 






Der Damm wird gelegentlich von Naturbelassenen Abflüssen aus den Vogesen durchbrochen.








Nach einer guten Stunde erreichen wir Strasburg. Entlang der Kanäle geht es am Europäischen Parlamentsgebäude vorbei. Weiter schlängeln wir uns durch das Radwegenetz, entgegen der recht schmalen Einbahnstraßen und über schmale Brücken.

Recht schnell erreichen wir die noch leicht verschlafene Innenstadt und finden auch sofort das Strasburger Münster. Nachdem wir es geschafft haben, neben einer Schulklasse durch den einzigen Eingang in das Innere zu gelangen, fühle ich mich in diesem Raum plötzlich sehr entspannt und ruhig. Ich hole kurz unsere Stempel von einer absolut routinierten Kioskverkäuferin und setze mich dann mit meinen ganzen Papieren in eine der Reihen, um meinen Schreibkrams zu erledigen. Bei dieser Gelegenheit lese ich die Einleitung des Tagebuches für den Jakobsweg, welches ich von A. zum Geburtstag geschenkt bekam:


Der Magische Weg

Der Jakobsweg ist kein Weg, den man entlanggeht, um
irgendwann irgendwo anzukommen. Er ist ein Weg
der Kraft. Ein meditativer Weg, der einen trägt und führt.
ein Weg, den man lieben lernt.

...

Den eigenen Weg zu finden, gerade in der heutigen Zeit,
ist eine Motivation, den Jakobsweg zu gehen. Sich eine
Auszeit zu nehmen, die Natur zu genießen, an Orten
uralter Kraft vorüberzuziehen, dabei die Seele zu reinigen
und inneren Frieden zu finden. Eingefahrene Wege
zu verlassen. Platz für Neues zu schaffen, Platz für
Ungewöhnliches

Aus:  GEHDANKEN Auf dem Jakobsweg, ars-Edition
ISBN: 978-3-7607-5333-1

In diesem Moment empfinde ich eine große innere Trauer: Kann ich bei dem Druck, mit dem wir unterwegs sind, überhaupt Etwas von diesem weg mitnehmen? Wo bewege ich mich im Augenblick hin? Der Tunnelblick, mit dem wir Kilometer fressen, kann uns doch auf Dauer keine Freude bereiten. Oder?

  

J. Kommt an meine Bank und drängt zum Aufbruch. Immerhin haben wir noch nicht "richtig" gefrühstückt, obwohl es schon überall am Wegesrand so gut nach frischem Brot roch. Also fahren wir weiter, bis wir am Stadtrand von Strasburg einen kleinen "Salon du Thé" vorfinden. Dort gibt es für mich ein Stück Quiche Lorraine (Rührei auf Tortenboden), ein schönes Croissant und zwei korrekte Milchkaffee. Gut gestärkt geht's dann gegen 11:00 Uhr weiter in Richtung Süden. 

Irgendwann treffen wir dann zum ersten mal auf den Rhein-Rhone-Kanal, der in mir angenehme Erinnerungen an die Radtouren mit meinem Vater auslöst.





Bei "Neunkirch", einem sehr kleinen Wallfahrtsort machen wir unsere nächste Rast. Ich staune nicht schlecht, als ich bei der Erkundung auf dem Gelände eine Freiluftkirche für gut 1.000 Personen, 2 vollwertige normale Kirchen und eine recht große Kapelle entdecke.


 Die Freiluftkirche nutzen wir für unser Picknick und eine kleine "Besinnungspause" auf einer Kirchenbank.

Nach dem Aufbruch  von diesem Pick-Nick beobachte ich an J.s Frontroller (Vorderer Gepäckträger) eigenartige Schwingungen, die sich nach dem Stopp als das Ergebnis einer gelösten Schraubverbindung herausstellen. Während wir das Fahrrrad reparieren, werden wir von einer Gruppe Holländern überholt, die wir kurz vor unserer Pause bereits getroffen hatten. Sie sind auf dem Weg an die Côte d'Azur. Einer der Holländer war vor Kurzem mit dem Rad von Holland über Nevers nach Santiago gefahren. Er wünscht uns beim Vorbeifahren einen "Bon Camino". Zwar haben wir diese Gruppe bald darauf wieder ein- und überholt. 



Doch im nächsten Ort "Hessenheim" sehe ich ein Haus, an dem von der Kuchenform über Rodelschlitten bis hin zu geklauten Verkehrsschildern so gut wie Alles an die Wand genagelt ist. Während ich dieses Haus fotografiere, holen uns die Holländer erneut ein und erzählen ein wenig mit uns. J. erzählt Ihnen, dass wir planen würden, über Colmar nach Mulhouse zu fahren. Ich bin ein wenig perplex, da ich zwar kommunikativ und Konditionsmäßig auf Colmar eingestellt bin, Mulhouse mit dann über 170 km Tagesetappe angesichts meiner nahezu toten Hände und eines zu erwarteten Übertrainings überhaupt nicht in's Auge fassen kann.


Ich schlage vor, Colmar auszulassen und soweit wie möglich in Richtung Mulhouse weiterzufahren. Dieses mal habe ich die Rechnung jedoch ohne meine Nerven gemacht, die nach weiteren zwanzig Kilometern noch nicht einmal mehr die Bedienung der Gangschaltung erlauben. Ich sehe die Lösung nur noch in einem Ruhetag und der Inanspruchnahme ärztlicher Beratung. Also schlage ich vor, J. die Zelt- und Kochausrüstung zu überlassen und nach einem Ruhetag in Colmar per Bahn nachzureisen. J. entschließt sich, nach Colmar mit zu kommen.





Auf der Fahrt durch Colmar treffen wir im Industriegebiet auf die "Statue of Liberty". Sie wurde von der Stadt Colmar anlässlich des 200. Todestages des Bildhauers und Schöpfers der Freiheitsstatue "Auguste Bartholdi" auf einem Kreisel an der Route de Strasbourg aufgestellt.









In der Jugendherberge trocknen wir erst einmal unser Zelt und gönnen uns dann selbstkreierte Kräutersteaks an Knoblauch-Bärlauch Reis. Zusätzlich zu dem guten Rotwein hat J. noch einen dreigängigen Nachtisch organisiert: Eine Auswahl französischer Käse, Mousse au Chocolat und eine schöne Melone.

Fazit des Tages: Ist mir Etwas wichtig, muss ich darauf achten, dass es bei meinem Gegenüber wirklich ankommt
  • Etappenlänge: 111 km 
  • Mittagspause mit Napping
  • gut gegessen 
  • Nur zweieinhalb Liter getrunken
  • Die Taubheit in der linken Hand fängt an zu nerven

Sonntag, 9. Mai 2010

Tag 2 Stop in Speyer

Leicht verschlafen kriechen wir gegen acht Uhr aus unseren Schlafsäcken. Wir nehmen ein kurzes Frühstück auf dem Vereinsgelände zu uns und trocknen währenddessen das Zelt unter einem Vordach. Anschließend wird Alles verpackt und um 09:30 Uhr machen wir uns auf in den zweiten Tag. Speyer ist nach 17 km erreicht. Am Dom erhalten wir unseren 2. Stempel. nach einem kleinen Fotoshooting an der Statue des Jakobspilgers genehmigen wir uns noch ein zweites Frühstück in der 'Backfactory'. Dort  treffen wir zwei ältere Herren, von denen einer 2003 mit dem Rad eine Jakobsfahrt mit dem Rad entlang der Loire gemacht hatte. Seine Erzählungen sind ein weiterer Ansporn, die Heute etwas dicken Beine nicht allzu ernst zu nehmen.

Na ja, etwas ernst genommen wurde die Muskulatur dann doch. Um einen höheren Tagesschnitt zu erreichen, reduzierten wir die Reisegeschwindigkeit auf ca. 18 - 19 km/h. Auf diese Weise genossen wir den Weg entlang des Rheinufers und kamen Nachmittags in Lauterbourg an. In einem kleinen Gasthaus am Rheinufer erhalte ich dann meine Kalorien mittels eines stark gesüßten Milchkaffees und eines großen Spezi. Weiter geht's es entlang der Altrheinarme, durch eine verträumt schöne Landschaft, die ein Kanuparadies wäre, wenn es nicht diese freundlich summenden Quälgeister gäbe. 
Am frühen Abend erreichen wir nach ca. 110 km den Ort Drusenheim. Ein kleines Schild, auf dem Flammkuchen angepriesen werden, lässt uns abrupt stoppen. Die Entscheidung, vor der Weiterfahrt erst mal etwas Elsässische Küche zu genießen fällt uns sehr leicht. Als wir den Gastraum betreten, fühle ich mich um gut dreißig Jahre zurückversetzt. Alles wirkt so, wie die einfachen Restaurants während der Fahrradtouren, die ich mit meinem Vater durch Frankreich unternommen habe. Am interessantesten ist die Dame des Hauses, eine etwa Neunzigjährige, rüstige Frau, die ganz alleine mit absolut stoischer Ruhe die Theke des inzwischen randvollen Restaurants betreibt. Nebenbei hält sie noch mit Drohgebärden Kinder von der Gefriertruhe mit den Eisspezialitäten fern. Warum sie das so vehement tut, können wir nicht feststellen. Ihrem Äußeren wäre es aber durchaus zuzutrauen, dass sie darin noch den Leichnam eines ihrer Liebhaber aufbewahrt...

An unserem Nebentisch sitzt ein Herr, der uns viel von seinen Fahrradtouren auf dem Jakobsweg erzählt. Leider, so meint er, habe er es bis jetzt nur bis zu den Pyrenäen geschafft. Er erzählt viel von dieser Tour und ein wenig später unterhalten wir uns über Gott und die Welt. Zumindest solange, bis uns auffällt, dass die Sonne bald untergehen wird. Von einer französischen Familie, die sich inzwischen zu uns gesetzt hat, bekommen wir noch einen Tip für einen Campingplatz in Gambsheim.

Als wir den Campingplatz erreichen, ist es bereits viertel nach Acht. Kurz nach unserer Ankunft fegt ein gut gelaunter Platzwart mit dem Auto auf den Platz und erklärt uns, dass wir Glück gehabt hätten. Immerhin mache er den Platz immer um 20 Uhr zu. Abschließen würde er allerdings nie...

Nach dem Einchecken lassen wir uns von ihm noch eine halb volle Flasche Wein aus seinem Bestand aufschwatzen. Wir gehen davon aus, dass er sich für den erzielten Preis anschließend zwei bis drei neue Flaschen kaufen konnte.

C'est la vie...

Fazit des Tages: Traue weder rüstigen alten Damen noch gutgelaunten Campingplatzwärtern
  • Etappenlänge: 120 km 
  • langsam gefahren
  • gut gegessen 
  • gut drei Liter getrunken
  • Bis auf eine starke Taubheit in der linken Hand ist Alles OK

Unser erstes Etappenziel

Dieser erste Tag verlief dann doch etwas anders als geplant. Meine Open-Map Daten für das GPS (Etrex-Legend) mussten nochmals aufgespielt werden, wodurch sich unsere Abfahrt auf viertel nach Zehn verspätete. Mit vollbepackten Rädern wackelten wir uns auf den ersten Kilometern in Richtung Mainz ein. Hier suchten wir nach dem Dommuseum, in dem wir den von uns heiß begehrten ersten Stempel mit dem Abbild des Mainzer Doms erhielten. Bald darauf verließen wir diese schöne linksrheinische Stadt und folgten dem westlichen Ufer des Flusses nach Worms. Unterwegs leisteten wir uns nach ca. 52 Kilometern eine kleine Rast bei frischem, selbsgebackenem Brot und guter Dauerwurst. Zur Beruhigung unserer nach Brennstoff lechzenden Muskeln hielten wir in Worms ein weiteres Mal. 
Gerade mal 15 Kilometer und schon wieder eine Pause? Aber natürlich! Wo sonst könnte man die spärlich verfügbare Sonne so schön genießen, wie an diesem Platz bei Eis, Spezi und Kaffee?


Nachdem wir endlich aus Worms herausgefunden hatten, galt es, die vielen Kalorien wieder zu verbrauchen. Insgesamt 110 Kilometer reichten uns dann aber für die erste Tagesetappe. Meine linke Hand kribbelt zu diesem Zeitpunkt bereits recht unangenehm und die linke Schulter gibt auch unerwünschte Meinungen übers Radfahren zum Besten. So waren wir sehr froh, als uns ein freundlicher Kanuverein bei Altrip die Übernachtungserlaubnis auf seinem Gelände erteilte. Mit dem Wanderwart Peter Steinbrecher gab es viel zu erzählen. Am meisten beeindruckten mich seine Geschichten von einer fast schon extremen Seekajaktour entlang der Nordküste Mallorcas. Schade, dass er irgendwann doch noch nach Hause gehen musste.
Ein Bild aus dem Vereinsleben.
("Der gute Geist"Peter Steinbrecher 3.v.r.)
Vorher hinterließen wir natürlich eine kleine Spende für die Jugendarbeit und nutzen das Getränkeangebot des Vereins, um den ersten erfolgreichen Tag angemessen ausklingen lassen zu können.


 


 
Bald darauf war das Zelt aufgebaut, der Knoblauch geschnitten und J. in der Dusche verschwunden. Dann dauerte es nicht mehr lange, bis wir die reichliche Menge von vier Portionen Nudeln á la "Miracoli" vernichtet hatten. 



Fazit des Tages: Ausreichend Essen und Trinken sicherstellen!
  • Etappenlänge: 110 km 
  • viel gegessen 
  • über vier Liter getrunken
  • Meine körpereigene Sitzfläche hat durchgehalten
  • Das Taubheitsgefühl in meiner linken Hand klingt schon im Laufe des Abends wieder ab.